Eine unerwartet hohe Anzahl neu geschaffener Stellen in den USA, erneute Zweifel über die Inflation, der Beginn der Berichtssaison und die geopolitischen Auswirkungen der Ereignisse im Nahen Osten. Diese Faktoren bewegten die Finanzmärkte in den letzten Tagen – aber nicht unbedingt so wie es zu erwarten gewesen wäre.
US-Arbeitsmarkt – Anstieg der neu geschaffenen Arbeitsplätze
Die Nettoarbeitsplatzschaffungen im September und die Aufwärtskorrekturen der Daten für die beiden Vormonate warfen eine große Frage auf: Gibt es eine Verlangsamung am US-Arbeitsmarkt? Die Beschäftigtenzahlen außerhalb der Landwirtschaft beliefen sich im September auf 336.000 und waren damit fast doppelt so hoch wie die erwarteten 180.000. Im dritten Quartal lagen die monatlichen Nettoarbeitsplatzschaffungen bei durchschnittlich 266.000, deutlich über den 201.000 vom zweiten Quartal.
Die Haushaltsumfrage des US Bureau of Labor Statistics fiel weniger positiv aus und ergab eine stabile Arbeitslosenquote von 3,8% (gegenüber 3,5% im Juli) und einen leichten Rückgang der ausscheidenden Arbeitnehmer auf 12,7% der Arbeitslosen (gegenüber 15,8% im Vorjahr). Wenn dieser Indikator hoch ist, bedeutet das, dass die Arbeitnehmer zuversichtlich sind, dass es zahlreiche Stellenangebote gibt, d. h. dass sie leicht den Arbeitsplatz wechseln könnten.
Die Verlangsamung des Tempos der Lohnerhöhungen (siehe Abbildung 1) scheint ebenfalls diesem Trend zuzuschreiben zu sein: Der Arbeitsmarkt wird für Arbeitnehmer allmählich weniger günstig, da Angebot und Nachfrage langsam wieder ins Gleichgewicht kommen.
Ist die Aussicht auf eine Normalisierung des Arbeitsmarkts eine Erklärung für die Korrektur nach der ersten Panikreaktion, die für einen Anstieg der Rendite von zehnjährigen Staatsanleihen auf über 4,85% und der Rendite von 30-jährigen Staatsanleihen auf 5,05% nach der Veröffentlichung des Arbeitsmarktberichts am Freitag, den 6. Oktober sorgte?
Möglicherweise. Aber die Anpassungen der Positionen am US-Anleihemarkt vor einem dreitägigen Wochenende könnten auch eine Rolle gespielt haben. Und der Angriff auf Israel am 7. Oktober sorgte für eine Flucht in sichere Anlagen, von der Staatsanleihen auf Kosten von Aktien profitierten.
Wirklich – „auf Kosten von Aktien“? Was hat dann der Anstieg des MSCI AC World Index in US-Dollar um 3,2% in der Woche vom 4.-11. Oktober, in der diese Ereignisse stattfanden, zu bedeuten?
Die pawlowschen Märkte
Marktbeobachter sind es gewohnt, dass es an den Märkten immer wieder einmal zu widersprüchlichen Phasen nach dem Motto „schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“ kommt, in denen die Aktienkurse nach schlechten Wirtschaftsnachrichten steigen (oder umgekehrt).
Derzeit haben wir es wahrscheinlich mit einer weiteren, ebenso fadenscheinigen Argumentation zu tun: „Ein Rückgang der Anleiherenditen (aus welchem Grund auch immer) führt zu einem Anstieg der Aktienkurse.“
Gemäß der neuesten Theorie der Anhänger von Zirkelschlüssen führt der Anstieg der langfristigen Anleiherenditen zu strafferen Finanzierungsbedingungen, was bedeutet, dass die US-Notenbank mit einer Lockerung der Geldpolitik reagieren kann (oder sogar muss). Auch wenn dies logisch scheint, muss es nicht unbedingt so kommen.

In einer Rede am 9. Oktober erläuterte der Vizepräsident der Fed Phillip Jefferson das Dilemma, vor dem die Fed in den kommenden Monaten stehen wird. Er gab zu verstehen, dass der jüngste Anstieg der Realrenditen eine Folge einer unerwartet starken Konjunktur ist, die eine restriktivere Geldpolitik für längere Zeit erfordern wird, und fügte hinzu: „Ich bin mir bewusst, dass die Realrenditen auch infolge von Änderungen der Einstellungen der Anleger zu Risiko und Unsicherheit steigen können. Mit Blick auf die Zukunft werde ich die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen durch höhere Anleiherenditen berücksichtigen, wenn ich meine Einschätzung für den künftigen geldpolitischen Kurs abgebe.
Wie wird sich die Inflation entwickeln?
Die neuesten Inflationsmeldungen, die auf einen allgemeinen Rückgang sowohl der Kerninflation als auch der Dienstleistungspreise hinwiesen, waren ermutigend. Während es nach wie vor durchaus möglich ist, dass es zwischendurch zu überraschenden Inflationsschüben kommt, hat sich die Dynamik der Preissteigerungen zwischen 2022 und Anfang 2023 drastisch geändert, was Hoffnungen weckte, dass die Inflation – wenn auch langsam – wieder die Zielwerte der Zentralbanken erreichen könnte.
Der Internationale Währungsfonds widmete ein Kapitel seines aktuellen World Economic Outlook Reports dem Einfluss der kurzfristigen Inflationserwartungen auf die tatsächliche Inflationsdynamik. Unserer Ansicht nach ist eine der wichtigsten Schlussfolgerungen, dass die „Verbesserungen der geldpolitischen Strategien und Kommunikation dazu beitragen können, die Produktionskosten in dem Maße zu senken, das erforderlich ist, um die Inflation und die Inflationserwartungen zu senken, wodurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Zentralbank eine weiche Landung erzielen kann.“
Die aktuelle Umfrage der Europäischen Zentralbank (EZB) zu den Verbrauchererwartungen ergab, dass die Haushalte trotz der geldpolitischen Straffung seit Juli 2022 mit einer Inflation von 3,5% in den nächsten 12 Monaten (Medianwert) mit einer breiten Streuung rechnen.
Das Protokoll der Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) vom September zeigte, dass sich immer mehr Mitglieder Sorgen über die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen machen. Sie erachten es für wichtig, „zwischen [dem] Risiko der übermäßigen Straffung und [dem] der unzureichenden Straffung“ abzuwägen und dass sie sich jetzt auf die Frage konzentrieren sollten, „wie lange“ die restriktive Geldpolitik beibehalten werden sollte, anstatt auf die Frage, „wie hoch“ die Leitzinsen steigen sollten.
Dieser Aktionsplan bedeutet, dass die Fed kurzfristig „vorsichtig vorgehen“ wird, wobei die Leitzinsen wahrscheinlich im November unverändert gelassen werden, danach aber keine schnellen Zinssenkungen zu erwarten sind.
Wie werden sich Anleihen entwickeln?
Den Aufwärtsdruck auf die langfristigen Anleiherenditen im September (Anstieg um 46 Bp. der Rendite 10-jähriger US-T-Notes, Anstieg um 37 Bp. der Rendite 10-jähriger Bundesanleihen, Anstieg um 66 Bp. der Rendite italienischer BTP) und Anfang Oktober zu erklären, ist kein leichtes Unterfangen.
Ist es ein vorübergehendes Phänomen, das mit Anpassungen der Positionen von Anlegern in dieser neuen Übergangszeit (Ende des Straffungszyklus, Korrekturen der Markterwartungen schneller Leitzinssenkungen im Jahr 2024) zusammenhängt? Oder ist es eine Reaktion auf eine robuste US-Wirtschaft mit dem üblichen Ansteckungseffekt auf die europäischen Anleihemärkte?
Es ist jedoch noch nicht auszuschließen, dass die Verschlechterung der Anleiherenditen im dritten Quartal darauf zurückzuführen war, dass einige Anleger versuchten, in dem unsicheren Umfeld eine bessere Risikoprämie zu erhalten, wie der Vizepräsident der Fed erläuterte.
Was den Wachstumsausblick für die kommenden Quartale betrifft, ist der Konsens unserer Einschätzung nach etwas zu optimistisch, da er das Risiko einer Verlangsamung der Aktivität außer Acht lässt.
Selbst ohne Berücksichtigung der spezifischen Risiken in den USA (Streiks der Arbeitskräfte aus der Automobilindustrie, Ende des Stopps der Rückzahlung von Studentendarlehen) wäre eine Verlangsamung normalerweise die „natürliche“ Folge der radikalen geldpolitischen Straffung seit 2022, deren Auswirkungen in diesem Zyklus im Vergleich zum letzten verzögert scheinen. Tatsache ist, dass Teile der US-Wirtschaft wie der Wohnimmobilienmarkt unter den steigenden Zinsen zu leiden beginnen.
Vor diesem Hintergrund beschlossen wir, unsere übergewichtete Position in den Anleihesegmenten unserer diversifizierten Portfolios beizubehalten. Die Volatilität kann kurzfristig hoch bleiben, nicht nur aus technischen Gründen, sondern auch, weil es schwierig ist, bei der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit der verschiedenen möglichen Szenarien einen Konsens zu finden.
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